Über die Kunst des glücklichen Alterns. Ein Gespräch mit dem Philosophen Otfried Höffe.
Herr Prof. Höffe: Sie werden in diesem Jahr runde 80 Jahre alt. Welche vergnüglichen und weniger vergnüglichen Beobachtungen verbinden Sie mit Ihrem letzten Lebensabschnitt?
Otfried Höffe: Ich kann in aller Dankbarkeit sagen: Mir geht es sehr gut. Ich erfreue mich guter körperlicher Gesundheit und einer geistigen Frische, die mich noch vieles tun lässt. Ich bin seit mehr als 50 Jahren mit einer klugen und liebenswerten Frau glücklich verheiratet und habe eine Familie mit Kindern und Enkeln, an denen ich mich mehr denn je erfreue. Zwar besteige ich keine 3000er und 4000er Berggipfel mehr, aber meine Freude an Bewegung, die Neugierde und die Wissbegier auf das Leben haben mich nicht verlassen. Ich schaue noch immer gern auf die vergnüglichen Seiten des Lebens.
Welche Vorurteile über das Altern halten sich in den westlichen Gesellschaften zu Unrecht, aber besonders hartnäckig?
Otfried Höffe: Es beginnt mit dem Vorurteil, ältere oder alte Menschen seien nicht mehr lernfähig.
Dass wir dieses Interview via Zoom führen, sagt etwas anderes.
Otfried Höffe: Genau. Manche Ältere wollen sich zwar mit den neuen Kommunikationsmittel nicht mehr befassen, aber das heißt ja nicht, dass sie es nicht lernen könnten. Ebenso halte ich es für ein Vorurteil, dass ältere Menschen automatisch vulnerabler seien. Das beobachte ich genau so bei jüngeren Menschen. Auch ist meine Generation nicht immer eine Belastung für die Gesellschaft, sondern häufig eine Bereicherung. Ebenso wenig trifft zu, dass ältere Menschen in der Regel in politischen Fragen rückwärtsgewandt sind. Gleiches gilt für den – angeblich – verklärenden Blick der Älteren auf eine Vergangenheit, die es so nie gab.
Altern sagen Sie, ist eine hohe Kunst. Welche Eigenschaft sind nützlich, wenn man diese Kunst meistern will?
Otfried Höffe: Dazu gehört ein gewisses Maß an Anpassungsfähigkeit an das Leben, wie es sich darbietet, ferner Bescheidenheit, nämlich das Bewusstsein, dass manch Gutes nicht der eigenen Leistung zuzuschreiben ist, sondern glücklichen äußeren Umständen. Gelassenheit ist ebenso hilfreich wie ein Selbst- und ein Weltvertrauen, das man hoffentlich in der Kindheit und Jugend erlernt hat. Neugierde, Wissbegierde, aktiv sein – das sind weitere wesentliche Dinge. Aber auch eine gewisse Entspanntheit der eigenen Vergangenheit gegenüber, etwa mit dem nicht so gut Gelungenen oder sogar dem vollständig Misslungenen. Man kann im Alter auch lernen, manche negative Erfahrung ins Positive zu wenden. Wenn ich zum Beispiel als Kind von den Eltern weniger beachtet oder gefördert worden bin als ein Geschwisterkind – was für mich aber nicht zutrifft –, dann kann ich daraus ableiten: Es gibt vieles, dass ich nicht anderen, sondern mir selbst verdanke, Dinge, auf die ich stolz sein darf.
Sie haben vier L’s ausgemacht, mit deren Hilfe das Leben im Alter gelingen kann: Laufen, Lernen, Lieben, Lachen. Warum gerade diese vier?
Weil diese Worte vier wesentliche Dimensionen des Menschseins verkörpern: Im Laufen oder in der Bewegung drücke ich mein körperliches Wesen aus. Das Lernen steht für die geistigen Fähigkeiten des Menschen. Dazu gehört die Freude an einer nicht auf die gebildete Mittelschicht einschränkten Welt. Zudem möchte ich gern die Fähigkeit bewahren, Altvertrautes bis ins hohe Alter infrage stellen können. Lernen hat überdies einen erfreulichen Zusatznutzen: Es wirkt Ärger und Stress entgegen und verhindert Langeweile und Einsamkeit. Wenn wir lieben und Freundschaften pflegen, wir also im Sozialen aktiv sind, erhalten wir Anerkennung und fühlen uns geliebt. Um eine modische Redeweise zu übernehmen: Das kann eine weit stärkere Anti-Aging-Medizin sein als Arzneimittel aus der Apotheke.
Bleibt das Lachen.
Otfried Höffe: Für mich ist Lachen tatsächlich das beste Make-up oder wie ich es gerne nenne: Lachen ist die Musik der Seele. Im Lachen zeigen wir, dass wir Emotionen haben und im Miteinander mit anderen Menschen Lebensfreude und Lebenslust erfahren. Dieses vierte L hilft uns, statt rechthaberisch und verbittert zu werden, heiter und gelassen unserer Wege zu gehen.
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aus PUBLIK FORUM EXTRA THEMA, Ausgabe 01.07.2023
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