Eine außergewöhnliche Stimme: tief, volltönend, stark im Ausdruck. Eine Country-Stimme, die bei geschlossenen Augen vermuten lässt, dass hier eine kräftige schwarze Lady tief aus dem Süden der USA den Hit des Country-Altmeisters Johnny Cash zum Besten gibt: „Love is a burning thing
and it makes a fiery ring, bound by the wild desire, I fell into a ring of fire.” Tatsächlich gehört diese ungewöhnliche Stimme einer gertenschlanken, hochgewachsenen jungen Frau mit fröhlich blitzenden blauen Augen und einer blonden Mähne. Wie kann in diesem schmalen Resonanzraum eine solch kraftvolle Stimme entstehen? Siiri – Vorname und Künstlername zugleich – legt lachend ihre Westerngitarre zu Seite. „Ganz ehrlich? Das weiß ich auch nicht.“
Die 28-Jährige sitzt in einem kargen Raum mit einem alten Eisenofen, der mit Feuerholz geheizt wird. Auf der Lehne des alten Sofas thront ein Westernsattel, der nicht nur Dekoration ist. Reiten kann die junge Frau. Darunter stehen ein paar ausgetretene Westernstiefel und auf einer ebenso alten Kommode liegt ein passender Cowboyhut aus Stroh, geschmückt mit einem Band aus feinen Federn. An diesem ganz normalen Arbeitstag im nassen Frühling trägt Siiri Sweatshirt, Jeans und eine Wolljacke. An ihren dicken Boots klebt noch der Schlamm, in den sich die Wege am Rand ihrer sauerländischen Heimatstadt Werdohl nach vielen Regentagen verwandelt haben.
Nein, eine Nachwuchsmusikerin auf der hektischen Suche nach Erfolg in der Glitzerwelt des Showbiz ist Siiri definitiv nicht. Stattdessen möchte sie das ihr Eigene finden, ganz Siiri sein. Nicht nur auf dem Forsthof ihrer Eltern, sondern auch auf den Bühnen der Region. Ihre ersten Sporen verdiente sich die junge Frau mit dem Faible für Country und Folk folgerichtig auch nicht in irgendwelchen Castingshows, sondern auf den Straßen der westfälischen Stadt Paderborn, wo sie bis vor wenigen Jahren Maschinenbau studierte. Nach sechs Semestern schmiss sie das Studium hin. Ein Leben in abhängiger Beschäftigung oder gar im Büro? Das war ihre Sache dann doch nicht. Ihr Bruder habe sie liebevoll für bekloppt erklärt, die Mutter, sagt sie, habe sie unterstützt. „Vielleicht war dieser Schritt auch gar nicht so mutig. Vielleicht sind jene Menschen viel mutiger, die sich für eine vermeintliche Sicherheit tagtäglich neu für einen ungeliebten Job entscheiden. Natürlich ist das Leben in einer Gesellschaft ein Nehmen und ein Geben und die totale Unabhängigkeit kann es nicht geben. Aber mein Höchstmaß an Freiheit finden, das will ich schon“, sagt sie und so heißt auch ihr erstes Album, das sie im vergangenen Jahr zusammen mit befreundeten Musikern eingespielt hat: „Independence“. […]
Erschienen in: PUBLIK FORUM EXTRA, Juni 2023
Download “Siiri geht ihren Weg”
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