Janita-Marja Juvonen ist eine Stadtführerin in Essen und zeigt Orte, wo Menschen leben, die kein Zuhause haben. Sie war eine von ihnen.
Wenn Janita-Marja Juvonen den Teilnehmern und Teilnehmerinnen ihrer Stadtführungen rund um den Essener Hauptbahnhof ihr »altes« Wohnzimmer zeigt, dann gibt es dort nichts zu
bestaunen, was man gemeinhin in deutschen Stuben findet: Sofas, Kommoden, Schränke, Bücher, Lampen, Nippes. Für nichts davon hätte die &Jährige damals Verwendung gehabt. Ihr
»Wohnzimmer«, das war die mit bunten Graffiti bemalte Brücke im Waldthausenpark. Dort, wo heute ein Kinderspielplatz ist. Hier schlief sie acht lange Jahre auf einer leichten Betonerhöhung unter dem Brückenpfeiler. Geschützt vor Regen – das allein war schon ein Segen. Aber Schutz vor Kälte oder Hitze, vor dem Dunkel der Nacht, vor den nie ruhenden Geräuschen einer Großstadt oder vor den gaffenden Blicken ihrer Mitmenschen gab es hier nicht. Kein Mindestmaß an Intimität. Kein Minimum an Geborgenheit, das eine Wohnung, und sei sie noch so klein oder noch so schäbig, vermitteln kann. »Mein Glück war damals, als ich gerade von Berlin nach Essen gekommen war, einen Kollegen zu haben, mit dem ich gemeinsam unsere Schlafplätze verteidigte. Denn natürlich wollten an dieser Stelle auch andere wohnungslose Menschen Unterschlupf suchen«, erzählt die Frau mit den tätowierten Armen, der markanten schwarzen Brille und dem kurzen E
Irokesenhaarschnitt.
Ein Zeitungsausschnitt von damals, als Janita noch obdachlos war
Nicht der Hauch eines Lächelns spielt um ihre Mundwinkel. Der Titel „Ihre traurige Welt“. Nachdenklich betrachtet Janita-Marja Juvonen ihr früheres Selbst: »Damals war ich 18,19 Jahre alt -und mein Leben, wenn man das so nennen kann – eigentlich schon zu Ende.« Einen Moment bleibt es still, dann stopft sie den Zeitungsausschnitt energisch zurück in den Rucksack und läuft weiter. Laufen ist ohnehin das Beste für sie. Janita-Marja Juvonen hat Durchblutungsstörungen in den Beinen, ihre Venenklappen sind »geschrottet«. Langes Sitzen fällt schwer. Langes
Liegen auch. Die Amputation ihres rechten Beins konnte damals gerade so verhindert werden. Laufen- das geht. Laufen durchihre Stadt, die ihr so etwas wie Heimat oder Geborgenheit nie vermittelt hat. Ein Leben auf der Straße: Was das bedeutet, kann wohl niemand ermessen, der es nicht am eigenen Leibe erlebt hat. „Schauen Sie mal dorthin“, sagt Janita-Marja Juvonen und deutet auf eine verdreckte Stelle am Nebeneingang des Essener Hauptbahnhofs. [,,,]
Erschienen in „Publik Forum Extra Leben“, April 2023
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